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Coronapandemie und Klimawandel

Es ist ernst. Warum nehmen sie es nicht ernst?

So jetzt stimmt alles wieder. So kenne ich unsere Regierenden. Jetzt fühlt sich das hAnDelN in der Coronapandemie wieder so an, wie das Nicht-Handeln der Klimakrise. Ich war am Anfang der Coronapandemie geradezu euphorisch irritiert darüber, dass Bundes- und Landesregierung ja doch Krisen bewältigen können – wenn sie wollen. Und so mancher Mensch aus der Klimaschutzbewegung hatte die Hoffnung, dass dies eine Wende sein könnte. Dass die Verantwortlichen in der Politik jetzt verstehen, wie effektives Handeln in einer Krisensituation geht und dass sie das jetzt auch auf die so dringend anstehenden Maßnahmen in der Klimakrise übertragen würden.

Inzwischen bin ich aber ernüchtert. Ich habe mich geirrt – manche Regierende wollen offensichtlich keine Lösungen finden, die wirklich die Übertagung des Coronavirus eindämmen. Stattdessen kümmern sich viele Politiker:innen lieber um ihre Profilierung im Wahlkampf. Warum haben sie nicht in den vergangenen Monaten zusammen mit Fachleuten und anderen Akteur:innen wirkungsvolle Maßnahmen erarbeitet, die ein Eindämmen der Infektionswege und dann einen sicheren Präsenzunterricht, ein sicheres Arbeiten ermöglicht hätten. Und das Weiterleben vieler der bislang über 80.000 Menschen, die an oder mit SARS-CoV-2 gestorben sind.  Es ist so ernst. Warum nehmen sie es denn nicht ernst?

Climawandel Conapandemie

Klima- und Coronapolitik: In beiden Krisen herrschen Machtgerangel, Desinformation und Orientierungslosigkeit. Dabei brauchen wir gerade hier ein Anerkennen der Dimension der Krise, Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen und eine ehrliche Kommunikation mit der Bevölkerung. Dann kommen wir auch auf die richtigen Wege aus der Krise. Foto von Gerd Altmann, Pixabay, CC0

Einer der wenigen Politiker, der immer wieder vor Entwicklungen in der Coronapandemie warnt, und für rechtzeitige und umfangreiche eindämmende Maßnahmen wirbt, ist Prof. Karl Lauterbach, selbst Epidemiologe.

Nein. Ernüchtert trifft es doch nicht richtig. Ich bin im höchsten Maße entsetzt, alarmiert, wütend und verzweifelt, dass sich auch in der Coronapandemie wieder Desinformation, Lobbyismus, Stimmenfang, Verantwortungslosigkeit und Orientierungslosigkeit eingestellt haben – so wie wir es seit langem aus der Klimakrise kennen. Was läuft denn da schief? Woran oder an wem liegt es? Und was müsste jetzt eigentlich getan werden und von wem?

Coronapolitik im Frühjahr 2020 und das verantwortungsbewusste Handeln der Bürger:innen

Bevor ich jedoch zu dem komme, was gerade so furchtbar schief läuft, möchte ich noch mal aufzeigen, was meiner Meinung am Anfang der Coronapandemie ganz gut funktionierte. Denn das könnte uns auch jetzt beim Bewältigen der dritten Coronawelle und beim ebenso lebenswichtigen Eindämmen der Klimakrise helfen.

#FlattenTheCurve. Okay. Es war nicht ganz der Anfang, aber es war noch so weit am Anfang der ersten Coronawelle, dass es noch ausreichte, um die Infektion innerhalb weniger Wochen eindämmen zu können. Der entscheidende Wendepunkt im Handeln der Regierenden in der ersten Welle war der gemeinsame Beschluss von Bund und Ländern, der ab Mitte März 2020 das öffentliche Leben in Deutschland weitestgehend einschränkte.

Das verantwortungsbewusste Handeln der Bürger:innen. Zuvor lief es nicht so gut: Da hatte die Bundesregierung über Wochen ausschließlich auf das verantwortungsbewusste Handeln der Bürger:innen gesetzt. (Hmmmhhh, warte mal eben – das ist mir jetzt irgendwie merkwürdig vertraut…  Ach ja, jetzt weiß ich es wieder – wir Bürger:innen können ja auch die Klimakrise, das Artensterben und auch die Plastikflut allein durch unser verantwortungsvolles Handeln im Alltag bewältigen. Das machen dann zwar nicht alle mit, aber die, die es tatsächlich versuchen, müssen es dann aber auch bitte 180prozentig machen und dürfen dann aber auch nicht darüber reden, denn diese ständigen moralischen Verzichtsdebatten sind ja auch nun wirklich nicht schön für die anderen und nerven einfach nur. Aber wirkungsvolle lenkende Maßnahmen für alle, sollten diejenigen auch nicht einfordern. Ach neee, sorry, stimmt so nicht – einfordern dürfen sie schon. Aber passieren sollte dann trotzdem nicht genug, denn wirklich wirkungsvolle Maßnahmen würden dann ja nicht nur die, die schon was machen einschränken, sondern eben auch die, die nichts machen … Und das wäre dann ja gegen die persönliche Freiheit jeder:s Einzelnen…Deshalb sollen doch dann lieber die, die schon was machen, weiterhin durch die gefährdet werden, die nichts machen… Hääh? … So kenne ich es seit eh und jeh auch aus der Klimapolitik. Schon spannend, diese Parallele, oder? (Dass aber Klimaschutz tatsächlich die Freiheit meiner Kinder schützt – sagt jetzt auch das Bundesverfassungsgericht 🙂 )

Aber die Hinweise und Bitten an die Bevölkerung, sich an die Abstands- und Hygieneregeln zu halten, reichten nicht aus. Viele Menschen unterschätzen weiterhin die Situation. Die Fallzahlen zeigten auch in Deutschland schließlich ein exponentielles Ausbreiten des Coronavirus an.

Die Wende: Bund und Land beschließen einheitliche Maßnahmen- es geht also doch 😉

Und dann geschah das für mich (und für viele Menschen in der Klimabewegung) Unglaubliche: Die Regierenden übernahmen Verantwortung und beschlossen drastische lenkende Maßnahmen, um eine Krise einzudämmen. Mitte März 2020 verständigten sich tatsächlich die Bundregierung und die Länderregierenden auf bundesweite einheitliche Maßnahmen, um die Corona-Infektionskurve abzuflachen. Um die Bevölkerung zu schützen und um die Menschen in den Pflegeberufen zu entlasten, wurde das gesellschaftliche Lebens dramatisch eingeschränkt: Geschäfte, Schulen, Kitas, Spielplätze, Sportstätten, Kinos, Theater, Einzelhandel und Restaurants wurden geschlossen, um die Kontakte zwischen den Menschen weitestgehend zu reduzieren und damit weitere Infektionen zu verhindern. Auch der Profisport ruhte. Gottesdienste und Versammlungen wurden abgesagt. Offen bleiben durften nur Geschäfte, die zur unmittelbaren Grundversorgung des Lebens eingestuft wurden. Es gab keine Ausgangssperren – es galt aber ein Kontaktverbot. Es durften sich nur noch 2 Personen aus zwei Haushalten treffen und auch das nur draußen und mit 2 Meter Abstand. Der erste sogenannte Lockdown trat dann zum 22. März in Kraft.

Die Bundeskanzlerin spricht mit mir

Und genauso überraschend und eindrucksvoll war für mich der 18. März 2020 (Doppelt historisch – es war nämlich auch noch mein 51. Geburtstag – der kam tatsächlich auch schneller als ich gedacht hatte …) an dem sich die Kanzlerin in einer Ansprache direkt an die Bevölkerung wandte. Herr Mann und ich hörten die Rede dicht vorm Radio stehend in unserer Küche. Dass die Bundeskanzlerin direkt über Rundfunk und Fernsehen mit uns, also mit der Bevölkerung spricht, kennen wir ja sonst nur zum Jahreswechsel. Und es hat bei mir die Wirkung nicht verfehlt – es war eine Ansprache in einer Krisensituation.

Angela Merkel machte deutlich, welches Ausmaß die Coronapandemie hatte, welches Ziel die Regierung mit den kontakteinschränkenden Maßnahmen verfolgte, dass es nicht leicht sein würde und wie wichtig es für eine guten Ausgang der Krise sei, dass sich jede:r daran hielte. Es war eine persönliche Ansprache der Bundeskanzlerin, die das Ziel und die beschlossenen Maßnahmen transparent machte und zusätzlich (nicht ausschließlich!) jede:n Einzelnen mit in die Verantwortung für den Ausgang der Krise nahm.

Diese Rede von Frau Merkel und die zu dem Zeitpunkt wissenschaftsbasierte Berichterstattung zeigten vieles von dem auf, was anfänglich in der Krisenbekämpfung gut funktionierte und ich mir so sehr auch für das Vorgehen in der Klimakrise wünschte. Im Stillen ersetze ich während der Rede die ganze Zeit das Wort Coronapandemie durch Klimakrise, Virologen durch Klimawissenschaftler:innen usw. Ich hatte tatsächlich Gänsehaut und so große Hoffnung, dass wir jetzt mit diesem verantwortungsvollen und entschlossenen Handeln beide Krisen bewältigen könnten.

27 Dinge, die anfänglich in der Coronapolitik gut liefen (Waren dann doch ganz schön viele Dinge, die anfänglich gut liefen – das müssten wir doch wieder aufgreifen können 😉

  1. Die Regierenden in Bund und Ländern hörten auf den Konsens der Wissenschaftler:innen
  2. und erkannten das Ausmaß der Krise.
  3. Sie entschlossen sich zu gemeinsamen Handeln, um die Pandemie einzudämmen.
  4. Sie übernahmen damit ihre Verantwortung
  5. und gaben eine einheitliche Orientierung vor.
  6. Sie beschlossen einheitliche, weitreichende, lenkende Maßnahmen,
  7. appellierten zusätzlich (nicht ausschließlich – großer Unterschied!!!) an die Verantwortung jeder:s Einzelnen und
  8. stellten auch weitere Maßnahmen in Aussicht,
  9. falls sich beim weiteren Beobachten und Beurteilen der Erfolg der bisherigen Maßnahmen und das Verhalten der Bevölkerung nicht ausreichen würden. (Sehr gut ein Monitoring!!! ;-))
  10. Die Kanzlerin übernahm die Führung und
  11. sprach direkt mit der Bevölkerung
  12. mit einem sehr persönlichen bildhaften und eindringlichen Appell.
  13. Sie machte das Ausmaß der Krisensituation deutlich
  14. und stellte klar, dass der Ausgang vom adäquaten Handeln abhängt.
  15. Frau Merkel erklärte, welche Maßnahmen jetzt helfen.
  16. Und sie sprach auch ehrlich davon, dass die Einschränkungen dramatisch sind und die nächsten Wochen noch schwer würden,
  17. aber, dass die Maßnahmen existentiell sind, um die Pandemie einzudämmen.
  18. Frau Merkel rief zur Solidarität auf und
  19. versicherte staatliche Hilfe für die Menschen, die unter den einschränkenden Maßnahmen leiden würden.
  20. Außerdem rief sie dazu auf sich ebenso an wissenschaftlich fundiertes Wissen zu halten.
  21. Frau Merkel zeigte auch Chancen auf, die das neue Miteinander auch in der Krisensituation hat.
  22. Außerdem gab sie klare Ziele vor: Jede/r sollte Kontakte vermeiden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, bis es Medikamente und Impfung gibt. Um die Erkrankten bestmöglich versorgen zu können, die Menschen in der Pflege und Medizin zu entlasten und vor allem umso wenig Menschen wie möglich sterben lassen zu müssen.
  23. Zusätzlich berichteten viele Medien in dieser Phase verantwortungsvoll,
  24. zeigten mit Bildern aus anderen Ländern, die Folgen zu späten oder nicht ausreichenden Handelns und
  25. klärten die Bevölkerung über wissenschaftliche Zusammenhänge und Maßnahmen auf.
  26. Parallel schlossen viele produzierende Betriebe wie Autohersteller und Zulieferer.
  27. Zahlreiche Betriebe schickten ihre Mitarbeiter:innen ins Home-Office.

Wäre sinnvoll gewesen: Mit den finanziellen Hilfspaketen gleichzeitig in mehreren Krisen umzusteuern

Das waren ja also schon mal viele gute und wichtige lenkende Maßnahmen. Noch besser wäre es gewesen, wenn die Milliarden an Euros, die jetzt als Corona-Hilfspakete verabschiedet wurden, auch an Nachhaltigkeitskriterien verknüpft worden wäre. Das wäre eine großartige Chance gewesen, dem so dringend anstehenden sozialen und klimagerechten Umbau der Wirtschaft Schwung zu geben. Das passierte leider weder bei den nationalen Finanzhilfen, noch bei dem EU-Hilfspaket, obgleich sich auch hier zahlreiche Wissenschaftler:innen dafür ausgesprochen, die Klimabewegung wie Fridays For Future das einforderte und sogar eine Initiative von Hunderten von deutschen Unternehmen dies gewünscht hätte.

Aber – zumindest mal Corona-Ziel erreicht

#StayAtHome. Tatsächlich hielten sich die meisten Menschen in der ersten Welle an die Kontaktbeschränkungen, die Ausbreitung des Virus konnte so eingedämmt werden und die Zahl der mit dem Virus infizierten Menschen sank innerhalb von 3-4 Wochen – auf Werte unter 35 in den 7-Tages-Inzidenzen. Und der Lockdown wurde so, nach gemeinschaftlichem Beschluss aller Länder und der Bundesregierung, zum 4. Mai 2020 langsam wieder aufgehoben.

Ende gut alles gut – könntest du denken, wenn du nicht schon wüsstest, dass die Geschichte anders weiter geht.

Profilierungssucht und „Öffnungsdiskussionsorgien“

Bereits im April 2020, noch im ersten Lockdown, begannen schon die ersten Diskussionen einiger Bundesländer um Lockerungen. Es wurde nicht mehr einheitlich an einem Strang gezogen, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, sondern die Landesfürst:innen überboten sich mit Öffnungsvorstellungen. Was dann auch die Kanzlerin mit dem Ausdruck „Öffnungsdiskussionsorgien“ betitelte. Sie mahnte zu Disziplin und Geduld und sah die Gefahr, dass das Erreichte und Erzielte verspielt werden könnte. Frau Merkel befürchtete, dass die Menschen dazu veranlasst werden könnten, sich nicht mehr an die bestehenden Kontaktregeln zu halten.

Der Fehler der Medien und die Methoden der Desinformation. Neben die Aussagen von Virologen und Epidemiologien, die für den Konsens der Wissenschaft sprachen, wurden nun vermehrt Randmeinungen von Pseudoexpert:innen gestellt, die eine mögliche Gefahr durch die Pandemie abschwächten. Im Fernsehen saßen in Diskussionsrunden weiterhin Menschen mit Doktor- und Professorentitel, die sich zu dem Infektionsgeschehen äußerten. Dass einige dieser Menschen ihren Titel jedoch in ganz anderen Fachgebieten hatten oder schon lange im Ruhestand waren und mit ihnen eine Minderheitsmeinung vertreten wurde, war sicherlich vielen Zuschauer:innen nicht klar. Auch Politiker bezogen sich auf wissenschaftliche Einzelmeinungen, um Öffnungsstrategien zu rechtfertigen. Die Informationen aus der Wissenschaft schienen mehrdeutig und verwirrend und waren die Grundlage für die Verharmlosung der weiterhin bestehenden dramatischen Gefahr durch die Pandemie.

PLURV – die Methoden der Desinformation und wie du sie erkennst

Dieses Vorstellen falscher Expert:innen und das generelle Problem der Desinformation, das in den Medien oder auch bei Politiker:innen oder anderen Entscheider:inen zu finden ist, benennt auch der Experte für Coronaviren Prof. Christian Drosten in seiner jüngsten Folge 82 des Podcast Corona Update des NDR:

„Wir haben das typische Phänomen der „False Balance“ in den Medien: Das Präsentieren vom Vertreter der einen und der anderen Meinung, sodass diese Meinungen als gleichgroß dargestellt werden, wohingegen in Wirklichkeit eine absolute Minderheitsmeinung gegen eine Mehrheitsmeinung steht.“

Die Methoden der Desinformation sind seit längeren aus Verleugnungs- oder Verharmlosungsstrategien in der Klimakrise oder anderen wissenschaftlichen Themen bekannt.

Sie können zu 5 Hauptthemen, den sogenannten PLURV zusammengefasst werden: Pseudo-Experten, Logik-Fehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei sowie Verschwörungsmythen. Welche Tricks dabei angewendet werden und wie du sie erkennst, haben die Redakteur:innen von Klimafakten.de zusammen mit dem Team von ScepticalScience.com zusammengestellt.

Auch in der Coronapandemie fassen genau diese Methoden der Desinformation wieder Fuß. Sie tragen immens dazu bei, dass Maßnahmen, die die Pandemie wirkungsvoll einschränken könnten, verwässert, gar nicht umgesetzt oder wieder aufgehoben werden.

PLURV

PLURV super gut erklärt – Poster Grundkurs Desinformation der hamburger Illustratorin Marie-Pascale Gafinen von Klimafakten.de.(CC BY-ND 4.0).

Machtgerangel und Ländersache. Bund und Länder verständigten sich zu den Lockerungen noch gemeinsam darauf, dass es wieder härtere Maßnahmen und Einschränkungen geben sollte, sobald die 7-Tage-Inzidenz die Grenzmarke 50 überschreiten würde, also, sobald sich in einer Woche mehr als 50 Menschen pro 100.000 Einwohner:innen mit dem Coronavirus anstecken würden. Aber – darüber sollten in Zukunft die einzelnen Länder wachen.

Das große Verdrängen

Dann kamen die Sommerferien. Die Inzidenzwerte waren niedrig, die Sonne schien – die Urlaubszeit begann. Obgleich die Virolog:innen und Epidemiolog:innen weiter vor einer 2. Welle warnten, hofften nun viele Menschen, dass die Gefahr vorbei war.

Auch die Familie und ich freuten uns auf den Urlaub. Wir verbrachten ihn, wie bereits in so vielen Ferien davor, auch im Sommer 2020, in einer kleinen von uns so geliebten Ferienwohnung auf einem Resthof in SPO – wo wir gut für uns sein können und wenig Trubel mitbekommen. Aber wenn wir mit den Rad durch die Straßen fuhren, sahen wir doch viele Menschen dicht gedrängt an den Tischen vor oder in den Cafés oder Restaurants sitzen. Und kaum noch eine:r schien daran zu denken, dass es nach wie vor galt, sich selbst und andere Menschen mit Abstand und/oder Mundschutz vor einer Infektion mit dem Virus zu schützen. Irgendwie schien allgemein die Stimmung und Wahrnehmung vorzuherrschen, dass das Coronavirus einfach weg ist.

Zurück in die Schulen „auf Basis von Normalität“

Dass die Gefahr auch bei den Regierenden offensichtlich völlig vergessen schien, wurde mir so richtig klar, als wir aus dem Urlaub zurück nach Hannover kamen und Herr Tonne, Kultusminister des Landes Niedersachsen, sich darauf freute die Schülerinnen und Schüler nach den Sommerferien „auf der Basis von Normalität“ wieder in voller Anzahl in den Klassenräumen begrüßen zu dürfen. – Und das ganze ohne Masken! Ach nee – stimmt nicht. Auf dem Hof ja – aber in den Klassenräumen nicht- -Bitte? Genau! Das war nicht zu verstehen!!!

Plötzlich war ich wieder die Nervige, die  Spaßbremse – wie in der Klimakrise

Und dann fühlte es sich wieder sehr vertraut an: Ich versuchte im Bekanntenkreis Menschen anzusprechen und sie dafür zu gewinnen, etwas gegen diesen Irrsinn zu unternehmen, es nicht hinzunehmen, dass der Kultusminister von einer Normalität sprach, die es zu diesem Zeitpunkt einfachen nicht gab.

Viele sagten mir, dass es doch so mit Unterricht zuhause nicht weitergehen könne – und ob ich das denn wollte. Und das sie nicht die Arbeit der Lehrer:innen machen könnten und das ihre Kinder wieder zur Schule gehen müssten, ihre Kinder Abi machen müssten und Kinder Kontakt zu anderen Kindern bräuchten und Masken bei den sommerlichen Temperaturen unmöglich wären.

Ja, genau, wir alle wollten keinen Lockdown und Unterricht zuhause mehr. Das war genau auch meine Meinung. Aber dann konnten wir doch nicht unsere Kinder schutzlos in die Schule schicken und sämtliche Vorsichtsmaßnahmen vergessen. Das würde doch genau zu alledem führen, was wir so sehr nicht wollten.

Es hatte sich doch nichts verändert an der prekären Situation – das Virus war weiterhin in der Bevölkerung unterwegs, wenn auch noch nicht wieder im exponentiellen Wachstum, aber es war nur eine Frage der Zeit, dass wir da wieder hinkämen, wenn wir jetzt jede Vorsicht verlieren würden. Und das hatten wir ja eigentlich alle gelernt – auch das exponentielle Wachstum zeigt lange, lange eine flache Kurve bis es dann rasant ansteigt.

Wunschdenken – eine Frage der Medien und der politischen Diskussion

Wir waren also wieder in diesem merkwürdigen Wunsch-Denken angekommen – angefeuert durch vereinfachende Berichte und Talkshows und durch Parteipolitik, die so sehr auf Lagerbildung und Abgrenzung setzt, anstatt auf parteiübergreifende Wege aus der Krise. Als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Wir wissen um die Gefahr und bleiben für immer im Lockdown oder wir verharmlosen die Gefahr und wir sind angeblich frei, wieder alles mit nicht ausreichenden Schutzmaßnahmen zu tun. Anstatt die dritte Möglichkeit zu wählen und nach dem Lockdown und den erreichten geringen Fallwerten weiterhin durch langfristige Maßnahmen und wissenschaftsbasierte Konzepte und Dialog mit der Bevölkerung für so wenige Ansteckungen wie möglich zu sorgen.

So kam es dann, wie es ja kommen musste – aus der vermeintlichen Freiheit wurde die zweite Welle und der nächste „Lockdown“ kurz vor Weihnachten, der zumindest in unserer Region Hannover seitdem mehr oder weniger anhält. Wer hätte das bloß gedacht? Dass es dazwischen aber die Möglichkeit gegeben hätte, angemessene  Maßnahmen zu erarbeiten wurde komplett ausgeblendet.

Die Verantwortlichen hatten sich nicht gekümmert – sie hatten wohl wider besseren Wissens darauf gehofft, dass sich das Virus einfach in Luft aufgelöst hatte. Anders konnte ich mir so ein verantwortungsloses und jeder Vernunft widersprechendes Vorgehen nicht erklären.

Schulnote 6 – fantasielos oder Arbeitsverweigerung?

Ich hätte erwartet, dass mit Anbeginn des Lockdowns und der Schulschließungen sich die verantwortlichen Menschen in den Schulämtern und Ministerien mit Wissenschaftler:innen und sonstigen kompetenten und kreativen Menschen aus Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen zusammengesetzt hätten. Und überlegt hätten, wie die Schüler:innen in kleinen Gruppen auch während einer Pandemie in der Schule unterrichtet werden können, ohne, dass die Gefahr drohte, dass die Tochter und der Sohn sich anstecken und den Eltern das Virus mit nachhause bringen.

Und dasselbe hätte ich auch für alle anderen Bereiche insbesondere für die Industrie erwartet – Konzepte, die langfristig für ein Eindämmen der Infektionen sorgen würden und nicht ein realitätsverleugnendes kurzfristiges Wunschdenken ohne langfristige Perspektive.

„Übernehmt Verantwortung und habt Respekt vor dem Leben eurer Schutzbefohlenen!“

Boah. Ich bin fassungslos. Und ich möchte so manchem:r Politiker:in zurufen (mal ganz vorsichtig ausgedrückt):

Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundespräsident, werte Minister:innen und Ministerpräsident:innen, werte Abgeordnete: Es ist ernst! Nehmt es auch endlich ernst! Ihr habt die Verantwortung, uns aus dieser Krise zu führen, den Menschen Halt und Orientierung zu geben und die wissenschaftsbasierten Maßnahmen zu beschließen, die die Krise eindämmen und das Leben und die Existenz der Menschen retten, für die ihr Verantwortung tragt!

Ihr habt euch dazu verpflichtet, zum Wohle der Menschen zu handeln und Schaden von uns abzuwenden. Das ist eure Aufgabe – dann macht das doch auch endlich mal!!! Eure Doppelmoral abends Lichter ins Fenster zu stellen, um den bislang bereits über 80.000 Menschen zu gedenken (und täglich werden es mehr!), die allein in Deutschland durch die Coronapandemie gestorben sind – aber dann gleichzeitig die Existenzangst und den Tod so unvorstellbar vieler weiterer Menschen in Kauf zu nehmen, da die Maßnahmen verzögert werden und dann auch noch unzureichend sind.

Das ist unerträglich und unglaublich menschenverachtend! Das gleicht dem Klatschen für die Pflegekräfte und Mediziner:innen, die ihr auch weiterhin im Stich lasst, obgleich sie Euch die ganze Zeit zurufen, dass sie mit ihren Kräften am Ende sind und auf den Intensivstationen die Menschen sterben oder nach ihrer Beatmung für den Rest ihres Lebens davon gezeichnet sein werden!!!

Puuh. Das musste mal raus.

#Wir sind mehr

Ich versuche es jetzt aber mal wieder etwas konstruktiver:

Aber – obgleich es viele Politiker:innen anscheinend immer noch nicht verstanden haben und sie sich mit Pseudoexpert:innen, Minderheitsmeinungen oder ihrer eigenen Profilierung beschäftigen, gibt es Hoffnung: Immer mehr Menschen haben verstanden, dass es so nicht weitegehen kann.

Der ARD-Deutschlandtrend von April 2021 zeigt, die Stimmung in der Bevölkerung ist gekippt. Nur noch ein Fünftel der Bürger:innen ist zufrieden mit dem Handeln von Bund und Ländern in der Coronakrise, aber vier Fünftel sind unzufrieden. Dabei befürworteten Ende des Jahres 2020 noch etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland das Krisenmanagement.

Inzwischen findet nach dieser repräsentativen Umfrage fast jede:r Zweite in Deutschland, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nicht weit genug gehen. Und eine deutliche Mehrheit  von 67 % der Menschen hält die Forderungen von Intensivmediziner:innen nach einen härteren Lockdown für richtig.

Auch in meinem privaten Umfeld merke ich diese Veränderungen. Ja, wir alle haben natürlich keine Lust mehr auf persönliche Einschränkungen. Immerhin sind wir in der Region Hannover seid vor Weihnachten in diesem Dauer-Lockdown, in dem fast alle Geschäfte zu sind und die Tochter und der Sohn noch keinen einzigen Tag in der Schule waren. Wer aber diese „Coronamüdigkeit“ als Argument für sein unzureichendes Handeln verwenden will, hat es offensichtlich immer noch nicht verstanden. Vor allen Dingen sind wir genervt von den nicht-handelnden Politiker:innen, die tagträumerisch und faktenverleugnend mit unzureichendem Lockdown light (oder wie er sich auch immer nennen mag) und  Öffnungsphantasien auf populistischen Stimmungsfang gehen und uns einen schmerzhaften Dauer-Lockdow bescheren.

Was muss also passieren?

Immer mehr Menschen erkennen, dass wir konsequentes, verantwortungsvolles und wissenschaftsbasiertes Vorgehen in Krisensituationen brauchen.

Sie empören sich – in den konventionellen Medien und in den sozialen Medien: Über das völlig unzulängliche Krisenmanagement der Verantwortlichen.

Und ähnlich wie in der Klimakrise die Klimaschutzbewegung entstanden ist, schließen sich jetzt auch in der Coronapandemie Wissenschaftler:innen und besorgte Menschen zusammen, die dieses Politikversagen nicht hinnehmen möchten und zeigen Lösungsmöglichkeiten auf: Wie die Gruppen ZeroCovid und NoCovid. Sie fordern einen harten Lockdown, der erst einmal die Anzahl der infizierten Menschen auf eine niedrige 7-Tages-Inzidenz von möglichst Null beziehungsweise unter 10 bringt. Der Lockdown würde also nicht zu einem bestimmten Datum wieder aufgehoben, sondern die Strategie ist, erst die Beschränkungen wieder aufzuheben, wenn die festgelegte Inzidenz unterschritten wird. Es gibt also ein klares strategisches Ziel, dass erreicht werden muss. Von dort aus wären dann wieder vorsichtige Lockerungen möglich, da dann einzelne Fälle wieder nachverfolgt werden könnten. So könnte, zusammen mit dem Impffortschritt, Schutzmaßnahmen und Testungen ein Dauer-Lockdown oder ein ständiges Auf-und Zu-Szenario vermieden werden.

Die No-Covid- und Zero-Covid- Akteur:innen vernetzen sich auch mit der Klimabewegung. Das ist nicht ganz erstaunlich, denn, wie wir ja gesehen haben, sind da viele Parallelen zu finden.

Fazit frau k.

Die Lösungswege aus der Corona- und der Klimakrise sind ja eigentlich grundsätzlich gleich und haben doch schon einmal am Anfang der ersten Welle in der Coronapandemie gut geklappt.

Daran sollten sich die Politiker:innen und Politiker doch bitte schnell erinnern und dann einfach mal machen – in der Coronapandemie und in der Klimakrise:

7 Dinge für ein adäquates Krisenmanagement in der Coronapandemie und in der Klimakrise

  1. Ein grundsätzliches Annehmen der Krisensituation durch die Politiker:innen und das Verständnis dafür, dass wir in Krisensituation bisheriges Handeln überdenken und verändern müssen.
  2. Der grundsätzliche Wille hier überparteilich Verantwortung und Führung zu übernehmen und damit die wichtige Orientierung zu geben.
  3. Rat der Expert:innen einholen.
  4. Ein gemeinsames klares Ziel und langfristige Strategie entwickeln.
  5. Ehrlicher Dialog mit der Bevölkerung und der Wirtschaft – über Ausmaß der Krise sowie  Notwendigkeit und Chancen der Maßnahmen.
  6. Lenkende Maßnahmen beschließen.
  7. Nutzen und Chancen der Maßnahmen aufzeigen und auch hier wahrheitsgetreu darüber sprechen, was passiert, wenn wir den Weg nicht gehen.
  8. Menschen, die von den einschränkenden Maßnahmen besonders stark betroffen sind, werden besonders unterstützt

FAKTEN CHECK  Was ich in Krisensituationen von Politiker:innen erwarte: Dass sie

Die Krise annehmen.
Verantwortung übernehmen.
Rat holen. Überparteilich
Lösungen erarbeiten und Maßnahmen beschließen.
Ehrlich sprechen
über Ausmaß der Krise, Maßnahmen und Chancen.
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