
Warum eine verkehrsberuhigte Stadt gut ist für Menschen und nicht für Autos
Wir schreiben das Jahr 2020. Die Welt und Hannover werden von einer Krise geschüttelt, die zurzeit viele andere Krisen überlagert – die Coronapandemie. Verschiedene Stimmen werden jetzt laut. Einige schreien „schnell zurück nach gestern“ aber auch immer mehr rufen „genau jetzt vorwärts in die Zukunft.“ Ist das jetzt der Moment, in dem auch endlich ein menschengerechter Umbau der Stadt Hannover und vielleicht sogar der Städte in ganz Deutschland beginnen könnte? Aber fangen wir ruhig erst einmal klein an. In Hannover. Hier möchte der letztes Jahr neu gewählte Oberbürgermeister Belit Onay mehr Platz für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen. Aus guten Gründen findet Frau K.
Long, long time ago oder Alles zu seiner Zeit
Das Auto wurde in der Wirtschaftswunderzeit der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zum Inbegriff für Freiheit und Wohlstand der Deutschen. Mit dem Auto konnten die Menschen jetzt flexibel überall hinfahren, sie konnten reisen und ein eigenes Auto zeigte, dass die Besitzer*in Arbeit und ein gutes Einkommen hatte. Der VW Käfer wurde das Symbol des Wirtschaftswunders und das Auto des Deutschen liebstes Kind.
In der boomenden Nachkriegszeit wurde das stark zerstörte Hannover daher auch als autogerechte Stadt geplant und wiederaufgebaut. Hannover wurde typisch für eine Stadt des Wiederaufbaus mit breiten Straßen, schlichten Bauten und viel Platz für den Autoverkehr. Das galt damals als modern und zukunftstauglich. Aber, ist es das auch noch im Jahr 2020? Welche guten Gründe gibt es heute für einen Umbau der Stadt mit mehr Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen und einer weitestgehend autofreien Innenstadt?
Sie sind laut, stehen rum und stoßen viel CO2, Feinstaub und Stickoxide aus
Im Jahr 2020 tuckern keine VW Käfer mehr durch unsere Stadt, sondern immer mehr überdimensionierte Autos – viele davon SUVs. Diese Geländewagen sind zum Teil doppelt so schwer wie ein normaler Kleinwagen – das bedeutet auch einen höheren Spritverbrauch und einen mindest doppelt so hohen CO2-Ausstoß. Die Motoren sind im Laufe der letzten Jahre immer effizienter geworden sind. Aber gleichzeitig ist der Spritverbrauch insgesamt gleichgeblieben, da immer größere und schwerere Autos gekauft und bewegt werden. Und die verbrauchen dann, trotz eigentlich sparsamer Motoren, wegen ihres Gewichtes und der großen Windangriffsfläche, doch wieder mehr Kraftstoff pro Strecke als ein Klein- oder Mittelklassewagen. Als Folge sind die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr in den letzten 30 Jahren in Hannover kaum gesunken und tragen damit weiter zur Erderhitzung bei.
Und durch ihre enorme Größe nehmen die Autos heute viel mehr Raum beim Parken ein. Ja, und die meiste Zeit steht ein Auto rum. Du kennst das Wortspiel, dass ein Auto mehr Stehzeug als Fahrzeug ist. Und dabei Platz einnimmt, den wir zum Beispiel für Spielplätze oder kleine feine grüne Stadtplätze mit Bänken und Bäumen verwenden könnten. Als Radfahrerin und Fußgängerin kann ich kaum an ihnen vorbeigucken, wenn ich eine Straße überqueren möchte und für meine Kinder ist es nahezu unmöglich.
Die Stadt ist durch den zunehmenden Verkehr auch immer lauter geworden und die Feinstaub- und Stickstoffoxidbelastungen sind nach wie vor hoch und Grenzwerte werden regelmäßig überschritten. Immer mehr Menschen leiden unter Atemwegs- und Herzerkrankungen.

1950: Das Auto verkörperte Freiheit und Wohlstand. Foto von bernswaelz, Pixabay, CC0

2020: Zu viele Autos. Zu wenig Freiraum für Menschen. Foto von Erdenebayar Bayansan, Pixabay, CC0
Hannoveraner*innen wünschen sich eine Stadt mit viel Patz für Menschen und Fahrräder und Stadtgrün
Kein Wunder also, dass sich viele Menschen einen gerechten Umbau der Stadt wünschen – weniger Straßen, die durch Autos befahren oder zugeparkt sind, stattdessen Flaniermeilen und grüne Plätze sowie ein Ausbau sicherer breiter Fahrradwege, die getrennt vom Autoverkehr angelegt sind.
Was bringt mir das? Naja, saubere Luft, mehr Plätze zum Verweilen und Spielen, sicheres Fahrradfahren und Zufußgehen und weniger Treibhausgase zum Beispiel. Klingt doch ganz wünschenswert, oder?
Die Fridays For Future sind nicht ganz unschuldig
Mit diesen Themen ist auch Belit Onay (Die Grünen) letztes Jahr in den Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters eingestiegen. Und er ist mit diesem Programm von den Hannoveraner*innen gewählt worden. Dass das geklappt hat, dürfte auch an den engagierten Menschen von Fridays For Future liegen, die letztes Jahr auch in Hannover Zehntausende motiviert haben, für lebenswichtigen Klimaschutz und Umweltschutz auf die Straße zu gehen. All diese Menschen haben dafür gesorgt, dass diese Themen endlich dahin gehoben wurden, wo sie hingehören – ganz oben auf die Tagesordnung.
Mehr Freiraum für Fußgänger*innen, für Kinder, für Stadtplatzliebhaber*innen, für Radfahrende
Die Grünen stellten nun kürzlich ihr Konzept vor, wie sie die Innenstadt von Hannover in eine autoärmere Zone verwandeln wollen. Es soll mehr Platz für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen geben und entstehende Freiräume und Plätze sollen begrünt werden. Der Durchgangsverkehr auf stark befahrenen Straßen würde wegfallen. Und breite sichere Radwege würden in die Stadt und aus ihr herausführen.
Und ewig nörgelt das Gestern
Ich bin ganz begeistert. Ein erstes Gesamtkonzept, dass die Weichen stellt zu einer Verkehrswende in Niedersachsens Hauptstadt. Aber, in den sozialen Medien oder Leser*innenbriefen der lokalen Presse lese ich viele der Reaktionen, die gebetsmühlenartig wiederholt werden, sobald eine Stadt darüber nachdenkt, den Fokus in der Stadtplanung auf Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu legen: „Die Stadt ist dann gar nicht mehr interessant für Pendler*innen“ und „Der Einzelhandel in der Innenstadt leidet dann darunter“ oder auch „Es ist sozial total bedenklich für all die kranken und alten Menschen, die auf einen Transport mit ihrem Auto angewiesen sind.“ Hhmmh, ist was dran an diesen Argumenten?
Stimmt ja gar nicht
Zunächst einmal — sollte sich der Plan der Grünen im Stadtrat durchsetzen, dürften weiterhin Anwohner*innen, Lieferant*innen und bewegungseingeschränkte Menschen mit Autos auf allen Citystraßen fahren und auch die Busse hätten natürlich weiterhin freie Fahrt durch die Innenstadt. Auch die Wege zu den Parkhäusern würden über den Cityring und die verschiedenen Zufahrtsstraßen frei bleiben – das heißt, auch für Menschen aus dem Umland, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hannover fahren, wäre die Stadt gut zu erreichen.
Und sozial bedenklich finde ich ja eher, dass Menschen mit geringem Einkommen vor allem an den lauten verkehrsstarken Straßen leben müssen. Da will nämlich keiner wohnen, und deshalb ziehen da die Menschen hin, die sich keine teureren Wohnungen in den Stadtteilen mit weniger Autoverkehr leisten können. (Da könnte also ruhig noch eine Schippe drauf auf das Verkehrskonzept, um auch die Einfallstraßen sozialgerechter zu machen ;-))
Prima für den Einzelhandel, Einkaufende, Kaffetrinkende und Spielende
Dass verkehrsberuhigtere Innenstädte auch dem Einzelhandel dienen, zeigen Städte wie Groningen oder Kopenhagen. Andere Städte wie Paris oder Madrid ziehen nach. Okay, und wenn jetzt das Argument kommt, jaaaa, das sind ja auch alles Touristen-Hotspots (wobei ich mir da bei Groningen jetzt gar nicht so sicher bin 😉) und da kann so etwas natürlich mit verkehrsberuhigten Zonen funktionieren, aber doch nicht bei uns – muss ja gar nicht so weit gucken. Hier in Hannovers Oststadt und List gibt es die Listermeile. Das ist eine 1,6 km lange Einkaufsstraße, verkehrsberuhigt und Fußgängerzone. Hier gibt es vom Unterwäsche- und Strumpfgeschäft, über Bio-Supermarkt, Loseladen, Drogeriemärkten oder Geschäften für Wohnaccessoirs, Bücher, Kinderklamotten, Brillen oder Handyreparatur alles, was das Herz begehrt. Die Hannoveraner*innen lieben es hier einzukaufen. Hier wird geschlendert und Eis geschleckert und auf dem angrenzenden Spielplatz toben die Kinder oder hüpfen durch den Pferdebrunnen (ich habe gerade mal nachgeguckt, der heißt eigentlich Körtingbrunnen, aber ich glaube unter dem Namen kennt ihn keine*r, oder?), während die Mütter und Väter einen Kaffee schlürfen oder beim Lieblings-Italiener leckere Panini essen. Jetzt mal ehrlich, ich verstehe diese stets bemühte Kritik nicht – wer mag denn schon in lauten stickigen Straßen einkaufen, umherbummeln, Kaffeetrinken oder einfach nur auf einer Bank sitzen und mit einer Freundin klönen?

Die Menschen in Hannovers Oststadt und List lieben es, auf der Listermeile einkaufen zu gehen, Bekannte zu treffen oder einfach das Leben zu genießen.
In der Coronakrise steigen die Hannoveraner*innen um – auf´s Rad
Eine Verkehrswende ist gar nicht so unrealistisch. Gerade in Zeiten von Corona, in denen viele aus Angst vor Ansteckung sich nicht trauen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, weichen die Menschen in Deutschland und Hannover aus — nicht auf das Autos sondern auf das Fahrrad. 😉
Mehrere Krisen mit einer Klappe
Der Umbau Hannovers zu einer Stadt mit weniger Autoverkehr und stärkerem Fokus auf Radfahrende und Fußgänger*innen macht die Stadt lebenswerter. Hannover würde ruhiger werden, die Luft sauberer und die Wege sicherer. Es gäbe mehr Straßen und Plätze in denen wir uns gerne bewegen und aufhalten würden. Davon haben nicht nur wir Hannoveraner*innen was, sondern auch die Besucher*innen. Und ganz nebenbei haben wir auch noch mehr Abstand zueinander in Coronazeiten und senken endlich das klimaschädliche CO2 auch im Verkehrsbereich.

Velorouten. Auch für Hannover sind 13 schnelle breite Radwege geplant.
Das ist im Jahr 2020 gesund, zukunftstauglich und krisensicher
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay macht jetzt den ersten Aufschlag zur Verkehrswende. Nach seinem Plan sollen in Hannover in den kommenden 10 Jahren 13 breite Radschnellstraßen, sogenannte Velorouten, ausgebaut werden. Diese wären 2,50 m breit und getrennt vom Autoverkehr angelegt. Hannovers Radfahrer*innen kämen so schnell und sicher in die Innenstadt und um sie herum.
Der Ausbau der Radwege ist ein wichtiger und dringender Schritt der Verkehrswende. Die nächsten Schritte könnten weitere Fußgängerzonen sein. Und auch der Ausbau und die Förderung des Carsharing-Angebotes und des ÖPNV, gerade jetzt in Coronazeiten, sind weitere Bausteine. So wird unsere Stadt lebenswerter, menschengerechter und geht ganz nebenbei einen großen Schritt in Richtung klimaneutrale Stadt. Sehr gut. Weiter so. Das ist im Jahre 2020 gesund, zukunftstauglich und krisensicher.
FAKTEN CHECK Themen – die uns Hoffnung geben